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Unterstützung in Zeiten des Umbruchs

Bundeskanzlerin Merkel besucht Kolumbien

Auch verfügbar in Español

Der erste Besuch eines deutschen Regierungschefs im Andenstaat Kolumbien hätte politisch kaum opportuner sein können. In einer Zeit, in der Kolumbien die größten Fortschritte in der Überwindung des fast fünf Jahrzehnte währenden Binnenkonflikts macht, und gleichzeitig zunehmend in Konflikt mit den Nachbarstaaten Venezuela und Ekuador gerät, da diese der Guerilla-Gruppe FARC jenseits der Grenzen Rückzugsräume gewähren, sandte die deutsche Bundeskanzlerin ein konstruktives und wichtiges Signal: Deutschland sieht Kolumbien als ein Land in der Aufarbeitung eines komplexen Konflikts, nicht ausschließlich als ein Land im Konflikt; Fortschritte in der Stärkung des Rechtsstaats und in der juristischen Aufarbeitung werden wertgeschätzt, nicht nur die Defizite betont und die Probleme, die es selbstverständlich noch zu lösen gilt.

Die konstruktive Haltung der deutschen Regierung wurde von den kolumbianischen Medien mit Applaus aufgenommen. Auch Mitglieder der kolumbianischen Regierung zeigten sich „sehr zufrieden“ mit dem Besuch am 17. und 18. Mai 2008, nur ein Jahr nach der Reise von Bundespräsident Horst Köhler nach Bogotá.

Auf Erleichterung stieß in Kolumbien die Haltung der deutschen Seite, dass die Verhandlungen zu einem Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und der Anden-Region (CAN) flexibler und in mehreren Geschwindigkeiten geführt werden könnten. Mit dieser Aufweichung der europäischen Position könnten vor allem Peru und Kolumbien profitieren, die sich in vielen Bereichen stärker auf die EU zubewegt haben, während sich dies mit Bolivien und Ekuador schwieriger gestaltet. Insgesamt betonte Merkel das Interesse an einem schnellen Verhandlungsergebnis zwischen der EU und den Anden-Staaten. Das ermutigt besonders Kolumbien, das wegen innenpolitischer Grabenkämpfe zwischen Demokraten und Republikanern im Wahlkampf-Szenario Washingtons beim Abschluss eines Freihandelsabkommens mit den USA das Nachsehen hatte.

Zufrieden reagierte die kolumbianische Regierung auch in einem weiteren Punkt. Nachdem Kolumbien mit Ekuador und Venezuela Anfang März kurz vor einem Krieg stand, da das kolumbianische Militär die Nummer 2 der FARC, alias Raul Reyes, zwei Kilometer hinter der ekuadorianischem Grenze getötet hatte, ließ die Bundeskanzlerin keinen Zweifel daran, welche Seite sie in der Bringschuld sieht. „Es ist wichtig“, betonte sie in Bogotá, „dass die Nachbarn am Kampf gegen den Terrorismus teilnehmen.“

Angela Merkel, selbst Kind einer politischen Transitionszeit, fand gegenüber ihren Gastgebern den richtigen Ton, was in der polarisierten politischen Landschaft Kolumbiens nicht immer einfach ist. Ihr gelang es, sowohl die sicherheitspolitischen Erfolge der kolumbianischen Regierung hervorzuheben, als auch der Staatsanwaltschaft und den Gerichten ihre Wertschätzung auszudrücken, welche unermüdlich gegen Verbindungen zwischen Politikern und illegalen Gruppen ermitteln und auch vor der Verhaftung bedeutender Politiker nicht zurückschrecken, wie des Cousins des Präsidenten und Senators Mario Uribe. Es sind ebenso die Staatsanwälte und Richter, die versuchen, Täter zu fassen, ihnen die Wahrheit zu entlocken und zugleich der Hoffnung der Opfer auf Entschädigung nachzukommen.

Merkel war durchaus bewusst, dass Präsident Alvaro Uribe sich mit der Justiz in den vergangenen Monaten heftige, oft unnötige Wortgefechte geliefert hatte. Mit ihren Erklärungen jedoch hat die Bundeskanzlerin den beiden stärksten Säulen des kolumbianischen Staates zugleich Anerkennung gezollt, die für den Erfolg der letzten Jahre verantwortlich sind: Dem Präsidenten und der Justiz.

Als Merkel von Journalisten gefragt wurde, wie es sich anfühle, in einem Land zu sein, in dem inzwischen gegen mehr als 60 Abgeordnete – mehr als ein Viertel des Kongresses - wegen Verbindungen zu Paramilitärs ermittelt werde und 29 davon im Gefängnis säßen (Stand April), entgegnete sie nüchtern, dies zeige eben auch, dass „das Justizsystem funktioniert“.

Schließlich war es die kolumbianische Regierung unter Uribe, die mit der gewagten aber weitgehend erfolgreichen Demobilisierung der meisten Paramilitärs seit 2005 die politische Katharsis angestoßen hat. Erst durch die Einbindung der Anführer in das Gesetz „Gerechtigkeit und Frieden“ und deren Aussagen vor Gericht sind überhaupt die schmerzhaften Wahrheiten ans Tageslicht getreten, über welche die Medien heute hart und kritisch berichten. Und diese Wahrheiten sind so manchem Politiker vor allem aus dem Regierungslager selbst heute zum Verhängnis geworden. Der Aufarbeitungsprozess ist längst zum Selbstläufer geworden. Statt zu lamentieren, dass Teile der politischen Klasse der „Parapolitika“ überführt wurden (was ohnehin jeder in Kolumbien seit Jahren geahnt hatte), macht es Sinn, die Aufarbeitung zu unterstützen in einem Staat, der weitaus besser funktioniert als in Jahrzehnten zuvor. Das war auch Merkels Botschaft.

Wichtigstes Zeichen dieser Solidarität in schwierigen Zeiten war Merkels Besuch in der Staatsanwaltschaft. Neben einem langen Gespräch zwischen Merkel und dem Leiter der Behörde übergab die deutsche Seite den kolumbianischen Partnern Fahrzeuge, mit denen Aussagen von Tätern und Opfern per Videokonferenz zur gerichtlichen Verwertung aus entlegenen Provinzen übertragen werden können („mobile Anhörungssäle“). Dieses Projekt der gtz mit der Staatsanwaltschaft ist Teil der politischen und moralischen Konflikt-Aufarbeitung. Für das laufende Jahr 2008 hat die kolumbianische Regierung das Budget für den Prozess „Gerechtigkeit und Frieden“ kräftig aufgestockt. Bisher arbeiten 23 Staatsanwälte in diesem Demobilisierungsprozess; 39 neue sollen hinzukommen. Die 140 Untersuchungsbeamte sollen durch 250 weitere Kollegen verstärkt werden.

Die größten Probleme der kolumbianischen Regierung sind unvollständige Wiedereingliederungsprozesse trotz Regierungsstipendien und psychologischer Begleitung für Demobilisierte, mangelnde Opferentschädigung und die Entstehung neuer Gewalt-Banden, die sich auf den Drogenhandel konzentrieren und zum Teil aus alten Kämpfern der Paramilitärs rekrutieren, die ihren Weg in ein ziviles Leben verfehlt haben.

Treibstoff des kolumbianischen Konflikts ist und bleibt der Drogenhandel. Es geht kaum noch um ideologische Konzepte oder Konfrontationen. Diese werden heute im Parlament ausgetragen, in dem auch ehemalige Guerilla-Kämpfer in einer gemäßigt-linken Partei mit wachsender Bedeutung den politischen Alltag prägen. Die Bundeskanzlerin traf sich daher auch mit dem Oberbürgermeister Bogotás, Samuel Moreno, vom oppositionellen Polo Democratico Alternativo. Selbst Bürgermeister und nationale Politiker des linken Spektrums leugnen heute kaum noch die sicherheitspolitischen Erfolge der Regierung Uribe. Ohne die Stärkung der staatlichen Institutionen und die Einsicht, Sicherheit als Grundlage des sozialen und wirtschaftlichen Fortschritts nicht zu vernachlässigen, ist in der Uribe- und Post-Uribe-Ära kaum noch ein Wahlkampf in Kolumbien zu gewinnen, weder auf regionaler noch auf nationaler Ebene.

Auch das Drogenproblem war Bestandteil der Diskussion zwischen Uribe und Merkel. Die Bundeskanzlerin zeigte sich offen für die Bitten der kolumbianischen Regierung, ein Programm zu unterstützen, das Bauernfamilien hilft, aus der Koka-Produktion auszusteigen. Zwar wird das Projekt „Familias Guardabosques“ in seiner gegenwärtigen Form vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) und der gtz skeptisch beurteilt, doch die kolumbianische Regierung beharrt darauf, dass inzwischen 66.000 Familien somit einen anderen Lebensunterhalt gefunden hätten.

Die Bundeskanzlerin traf sich zudem mit Vertretern der Zivilgesellschaft, darunter Gesprächspartner aus der Gewerkschaft, der Versöhnungskommission und der Wissenschaft. Ohnehin war ein Bemühen des Besuchs, andere Themen in der Beziehung beider Länder zu unterstreichen und voranzubringen als nur die üblichen drogen- und konfliktbezogenen. Merkel betonte besonders die Wissenschafts- und Wirtschaftskooperation. Sie sind beiden Seiten wichtig, auch den deutschen Institutionen vor Ort.

Zwei bedeutende Wirtschaftskooperationsabkommen standen während des Besuchs auf dem Programm. Das erste garantiert die Sicherheit gegenseitiger Investitionen und das zweite zielt auf ein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen beiden Ländern.

Kolumbien hat mit einem Wirtschaftswachstum 2007 von mehr als sieben Prozent viel Kapital ins Land locken können, ohne dass sich dies jedoch nennenswert auf die Beschäftigungszahlen niedergeschlagen hat. Dennoch sind die Armutsindikatoren in den jüngsten Jahren leicht gesunken. Heute ist Kolumbien nach Angaben der deutschen Botschaft in Bogotá das drittattraktivste Land Lateinamerikas für ausländische Investitionen nach Brasilien und Mexiko, die ebenfalls auf der Reiseroute der Kanzlerin lagen. Für deutsche Firmen ist Kolumbien das fünftattraktivste Land auf dem amerikanischen Kontinent.

Der wichtigste Handelspartner Kolumbiens in Europa ist Deutschland. Importe und Exporte hatten nach Angaben der deutsch-kolumbianischen Handelskammer im vergangenen Jahr ein Volumen von etwa 1,1 Milliarden Euro. Deutschland exportiert in das Andenland vor allem Maschinen und Industrieanlagen. Im Gegenzug liefert Kolumbien besonders Kohle, Ölprodukte, Kaffee, Agrarprodukte und tropische Früchte wie Bananen nach Deutschland.

Laut Zahlen der Deutschen Bundesbank investierten deutsche Firmen im Jahr 2005 rund 762 Millionen Euro in Kolumbien und machten dort einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro. In Kolumbien operieren 35 rein deutsche Unternehmen und viele weitere mit deutscher Beteiligung, die teilweise seit mehr als 40 Jahren trotz des wütenden Konflikts in Kolumbien ihre Geschäfte gemacht haben. Die bekanntesten deutschen Firmen in Kolumbien sind Siemens, BASF, Bayer. Merck, ThyssenKrupp, Allianz und Faber Castell.

Die Politik der Demokratischen Sicherheit von Alvaro Uribe hat Vertrauen beim privaten Sektor geschaffen, was nicht nur multinationalen Firmen, sondern auch Kleinunternehmern im Land zu Gute kommt. Diese Entwicklung hängt eng mit der Intensität des Konflikts zusammen. Sicherheit und Vertrauen haben in Kolumbien eine soziale Dividende. Wenn es der Wirtschaft des Landes gut geht, stehen neben der notwendigen militärischen Komponente genügend Mittel für soziale Projekte und Reintegrationsaufgaben für mehr als 40.000 demobilisierte Kämpfer zur Verfügung. Die Unterstützung Deutschlands in schwierigen Zeiten wissen die Kolumbianer zu schätzen, die nicht nur unter einem lebenslangen Konflikt leiden, sondern auch in einer zunehmend turbulenten Nachbarschaft leben. Jetzt liegt es an beiden Seiten, die Fäden aufzugreifen, welche die Bundeskanzlerin in Bogotá gelegt hat und die neue Dynamik in den bilateralen Beziehungen nicht abebben zu lassen.

Dr. Carsten Wieland
Landesbeauftragter der Konrad Adenauer Stiftung in Kolumbien

http://www.kas.de/kolumbien/de/publications/13959/



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